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Category: Eisenbahn
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Nein, ich kann nichts fuer den Niedergang des Bw Leipzig Sued. Es war eher der Fall eines weiteren Dominosteinchens. Nach der Wende begann man zuegig die DDR-Schwerindustrie aus dem Verkehr zu ziehen. In Espenhain wurde keine Kohle mehr gefoerdert. Auch andere Kraftwerke machten dicht. Dadurch gabs keine Kohlezuege mehr zu fahren und keine Kesselwagen aus dem VEB Otto Grotewohl Boehlen. Da nichts mehr produziert wurde, musste auch niemand mehr auf Arbeit fahren.
Fuer die Deutsche Reichsbahn war das gleich doppelt schlecht: Dramatischer Rueckgang von Fahrleistungen im Gueter- und Personenverkehr. Das dritte Standbein "Post" wendete sich auch von der Schiene ab und verlagerte seine gesamete Logistik auf die Strasse. Fuer die Lokfuehrer blieben endlose Bereitschaftsschichten oder Hofkehren und andere berufsuntypische Taetigkeiten. Ich weiss nicht mehr genau wie es zustande kam. Ich hatte nur einen Bericht in der GDL-Zeitschrift "Voraus" gelesen, dass Lokfuehrer der Deutschen Reichsbahn aushilfsweise ihren Dienst bei der Schweizer Eisenbahn versehen. Der Bericht war sehr positiv und brachte so einen Flair von Abenteuer und etwas Neuem mit. So aehnlich muss wohl auch eine Anzeige vom Bw Muenchen 6 verfasst sein, die auf zeitlich begrenzter Basis dringend Lokfuehrer suchten. Die zeitliche Begrenzung von 2 Jahren passte ganz gut zum Generalplan "Aufbau Ost", wonach in 2 Jahren dort bluehende Landschaften entstehen sollten. Statt Aufschwung Ost kam also erstmal Aufbau West. Der Strassen-Atlas Deutschland Ost/West wiess das Ziel im aeussersten Osten von Muenchen-Steinhausen aus. Ein moderner Backstein-Bau markierte das Dienstgebaeude, umringt von sehr vielen Gleisen mit hellem Schotter und merkwuerdigen elektrischen Triebzuegen drauf, der ET 420. Ein Triebzug bestand aus 3 Wagen, es konnten bis zu 3 Triebzuegen zusammengekuppelt werden. Das ging vollautomatisch ueber eine Mittelpufferkupplung. Jede Achse des Triebzuges war mit einem Fahrmotor angetrieben. Bei einem Langzug hatte man also 36 angetriebene Achsen und konnte den Zug mit fast 1000 A Oberstrom beschleunigen. Die Betriebserlaubnis erlangten wir schon nach sehr kurzer Zeit. Wir waren ja ausgebildete Lokfuehrer und brauchten so nur eine Einweisung in den Betrieb auf Bundesbahnstrecken, der S-Bahn-Betrieb im Besonderen und natuerlich die Fahrzeugeinweisung ET 420. Die Angestellten vom Bw Muenchen 6 waren allesamt recht freundlich zu uns. Und "uns" waren vielleicht 20 neue Kollegen aus den neuen Bundeslaendern, die von nun an Dienst auf den 8 S-Bahn-Strecken in und um Muenchen leisteten. Untergebracht waren alle im Appartement-Hotel Muenchen-Giesing - ziemlich luxurioes, andererseits war der Dienst auch angstrengend. Es gab sogenannte Doppelbauten. Bei dieser Dienstschicht musste man zweimal auf Arbeit kommen: einmal zeitig morgends von 4 bis 8 Uhr. Und dann nochmal nachmittags von 16 bis 20 Uhr. Die Zeit dazwischen verschlief man am besten im Appartement-Hotel. Es gab aber auch genug einheimische Kollegen, die jeden Tag aus Rosenheim, Augsburg oder Ingolstadt nach Muenchen zum S-Bahn-Fahren kommen mussten. Diese Leute hatten meistens ein Jahre dauerndes Versetzungsgesuch laufen, die aber erst mal einen Tauschpartner finden mussten, der von Ingolstadt nach Muenchen wechseln moechte, um seine Stelle einzunehmen. Entsprechende Anzeigen fand man immer wieder in der Gewerkschaftszeitung.
Fuer uns aus dem Osten war es eigentlich eine unbekuemmerte Zeit. Die Arbeit hat soviel Spass gemacht, dass diese 2 Videofilme dabei entstanden sind:

Die Qualitaet laesst zwar zu wuenschen uebrig, aber zu damaliger Zeit hat man uns den Film aus den Haenden gerissen. Alle die in Muenchen waren, wollten ein Stueck Erinnerung mit nach Hause nehmen. Die 2 Jahre waren tatsaechlich recht schnell rum. Ein kurzer Besuch in Leipzig zeigten keine auffaelligen Veraenderungen. Es war alles noch so, wie ich es vor 2 Jahren verlassen hatte. Noch nichts von bluehenden Landschaften zu sehen. Das Bw Muenchen 6 liess sich auf ein weiteres Jahr Entwicklungshilfe ein. Nur aus dem Appartmenthaus mussten wir ausziehen, es kostete nahezu 160.000 DM - pro Monat. Ein normales Wohnhaus in Laim wurde das neue zu Hause. Die Wohnungen waren riesig und so wohnten immer 4 Eisenbahner in einer Art WG zusammen. Dabei lernte man noch andere Betriebszweige kennen wie etwa Lokfuehrer vom Gueterzug-Bw oder dem Bw Muenchen 1. In dieser Zeit lernte ich glaube ich kochen. Bzw. wurde die Lebenserfahrung geteilt, wie man sich mit einer Buechse Linsen den ganzen Tag beschaeftigen kann. Auch andere schlichte Mahlzeiten wie Kartoffeln und Quark wurden in epischer Laenge hergestellt weil man hatte ja Zeit und beschenkte sich so selbst mit koestlichem Essen.
Auch das dritte Jahr ging schnell vorbei und das Bw Muenchen 6 wollte nun wissen woran es mit den Ossis war. Ein weiteres Jahr verlaengern ging nicht, stattdessen wollte man die zum grossen Teil jungen Lokfuehrer nun fuer immer haben. Als Anreiz wurde in Pasing ein nagelneuer Wohnkomplex fertiggestellt, in denen es ganz schnucklige Wohnungen zur Miete gab. Umzugskosten wurden glaube ich auch noch ersetzt und das Gehalt war nun mal fast doppelt so hoch wie im Osten.

Dennoch kehrte ich nach 3 Jahren von Muenchen nach Leipzig zurueck. Auch nach 3 Jahren hatte sich keine Veraenderung abgezeichnet. Keine Fahrleistungen, und eine apathische Abneigung mir gegenueber, dem Besser-Wessi. Dabei hatte 91 jeder die Chance gehabt, nach drueben zu gehen. Argumente wie Familie oder Haus zaehlten nicht, denn auch solche Kollegen hatten wir in Muenchen gehabt. In Leipzig kam man auf keinen gruenen Zweig. Das neue Angebot kam kurze Zeit spaeter aus Frankfurt am Main. Das Bw 1 suchte Lokfuehrer fuer den Reisezugdienst. Fuer immer. Diesmal sollte es also keine Zeitarbeitsvertraege geben. Dafuer sollte die Dienststelle richtigen Reisezugdienst anbieten und nicht bloss S-Bahn wie in Muenchen 6. Also gut, beworben und natuerlich genommen. Ich hatte schon DB-Fahrpraxis und natuerlich die 420-Berechtigung, die in der S-Bahn Rhein-Main zum Einsatz kam. Was folgte waren Lehrgaenge 110/140,141, 103. Die BR 103 war eindeutig das Highlight. Die Bundesbahn-Paradelok bevor der ICE Einzug hielt. Die Lok verbreitete den bunten Plastikcharme der 70er. Erschreckend teilweise was man aber auf einer 110 oder 140 erleben musste. Die Loks waren Baujahr 59 und stellten das Gros des Fuhrparks der Deutschen Bundesbahn in den 90ern. Darauf zu fahren machte nur bedingt Spass. Meist ging es die Bergstrasse runter bis Mannheim. Oder rauf bis Kassel oder Giessen. Ach Nein, halt! Von Giessen gab es morgens eine Leistung mit BR 112, also Reichsbahn 212 aus LEW Hennigsdorf. Die Leistung war schon sehr gut und erinnerte an die alten Zeiten in Leipzig, nur dass es hier ein ganz normaler Dienst war. Mit der 103 ging es meistens nachts nach Nuernberg. Die Strecke war genauso gemuetlich wie die parallel laufende Autobahn A3. De Zug ging weiter nach Oesterreich oder Italien. Die Abloesung war am Bahnsteig und fuer die Rueckfahrt holte man sich eine neue Lok aus dem Bw.
Landschaftlich hatte das Rhein/Main-Gebiet natuerlich nicht soviel zu bieten wie das Alpenvorland und Muenchen. Auch die Mentalitaet der Einwohner ist total verschieden. Die vielen Drogenjunkies und die hohe Kriminalitaetsrate entzweiten mich dann von der Bahn. Auch beschaeftigte ich mich immer mehr mit Computern. In Muenchen hatte ich mir einen AMD 486DX2 gekauft und spielte damit rum. Dann habe ich mir Visual Basic gekauft und begann damit Sachen zu programmieren. Um damit auch auf Arbeit in den zahlreichen Pausen weitermachen zu koennen, habe ich mir ein Laptop gekauft und schleppte das fortan mit zum Dienst. Bei Conrad kaufte ich mir dann ein Modem, um die Frankfurter Mailboxen nachts zu erkunden. Dann entdeckte ich AOL, die damals immer Beta-Tester suchten fuer ihren neuen Onlinedienst. Eine Rubrik hiess auch Internet und dort sollte man auch ohne AOL-Software hineingelangen koennen. Den Zugang bot germany.net, ein Onlinedienst aus Frankfurt. Der Rest der Geschichte gehoert nicht mehr zur Bundesbahn.