Über meine Zeit bei der Eisenbahn werde ich später bestimmt mal ein Buch schreiben. Es wird dann irgendwo im Regal des Buchladens zwischen Jack London und Jules Verne zu finden sein. Statt grosse Worte zu verlieren, zeige ich lieber ein paar Bilder von der Bahn. Es gibt auch noch 2 Videofilme, die ich auf jeden Fall der Nachwelt vermachen will, aber fehlen mir noch die technischen Möglichkeiten, diese online zu stellen.
 

Eumel on road

Mein *zweites* Fahrzeug (das erste war glaub ich ein Holzroller und das nächste mein Fiesta).

Die erste Lok:
105 037 auf dem Leipzig Dresdener Güterbahnhof.
Eumel on road
Eumel on road Unlängst später: BR 243 vor der S-Bahn Wurzen-Leipzig.
S-Bahn in München. Eumel on road
Eumel on road S-Bahn in New York
(natürlich ein Fake von meinem Freund Koe).
ICE-Fahren, cool! Eumel on road
Eumel on road Fährt auch 300.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Mein Traumberuf war es nie! Ich habe nie eine Modelleisenbahn geschenkt bekommen und ich kenne nicht die Umlaufplaene aller Dampfloks auswendig. Mein Schulabgangszeugnis war nach 10 Jahren auch nicht so schlecht, jedoch der Volksmund behauptete:

Hast Du einen dummen Sohn, dann schicke ihn zu Robotron. Ist er noch viel duemmer, die Reichsbahn nimmt ihn immer.

Aus heutiger Sicht gesehen, waere der Weg zu Robotron der direktere gewesen, aber

  1. hing die Computerindustrie ein Jahr hinterher (obwohl ich mir damals haette nicht vorstellen koennen, wie man mit einem Z1013 sein Geld verdienen kann)
  2. Umwege erhoehen die Ortskenntnis

Der Umweg ueber die Reichsbahn war aber auch ein weitraeumlicher und das war dann wohl auch der Grund fuer die Berufsentscheidung. Ich wollte einfach nicht in Espenhain an der Brikettpresse stehen und kleine Eierbriketts backen - ich wollte an die richtige Kohle.

Den Beruf Lokfuehrer gibts ueberhaupt gar nicht. Ich begann meine Ausbildung zum Facharbeiter am Bw Leipzig Hbf Sued zum Fahrzeugschlosser Spez. Triebfahrzeugfuehrer. Die Bezeichnung Hbf fuer Hauptbahnhof war natuerlich etwas irrefuehrend, denn der Betrieb lag gar nicht am Leipziger Hauptbahnhof sondern 3 km weit draussen am S-Bahn-Haltepunkt Leipzig-Ost. Geographisch war es aber schon Sueden und meinem Wohnort Roetha am naechsten gelegen. Roetha hatte ja auch mal einen Bahnhof, ihn gibts aber bloss noch auf dieser Modellbahnanlage, ist aber recht detailgetreu:

 

Von Roetha fuehren aber nur Personenzuege zur Frueh-, Spaet- und Nachtschicht nach Espenhain. Man kam also dreimal am Tag nach Leipzig. Wer oefters wollte musste nach Boehlen. Dort gab es den Anschluss in die grosse weite Welt. Dort kamen Zuege vorbei aus Altenburg und manchmal sogar aus Zwickau! Aufpassen musste man bloss, ob diese wirklich nach Leipzig Hbf fuhren oder in die Pampa: Leipzig Bayerischer Bahnhof. Der Hauptbahnhof war zwar auch ein Sackbahnhof, aber erst am Bayerischen war man wirklich im Sack. Die Entfernung zum Zentrum war vielleicht genauso lang wie von Boehlen nach Roetha und es ist unerklaerlich, warum dort ueberhaupt noch Zuege verkehrten. Wenn man richtig nach Leipzig fahren wollte, musste man in Connewitz geradeaus weiter, Stoetteritz vorbei, Sellerhausen nach Leipzig-Ost.

Dort sollte ich aber die ersten 1,5 Jahre gar nicht hin sondern nach Moelkau in die Berufsschule. Moelkau ist ein Vorvorort von Leipzig. Also erst ist Leipzig, dann kommt, wenn man weiter raus faehrt, Paunsdorf, dann Engelsdorf und dort mittendrin ist Moelkau. Engelsdorf ist ein wichtiger Eisenbahnknoten in Leipzig, was ich spaeter noch lernen sollte. In Moelkau lag die Berufsschule am aeussersten Ende des Ortes, ein roter Backsteinbau wie unsere POS in Roetha. Es wurden auch ganz normale Sachen unterrichtet wie etwa Staatsbuergerkunde. Es gab aber auch tatsaechlich sachbezogene Faecher wie Grundlagen der Materiallehre oder sowas. Im ersten Geschoss war das Feilkabinett. Wir mutmassten schon, dass wir in die Fusstapfen von Iwan Lokomov treten sollten, der seine Lokomotive aus einem Stueck Eisen selbst gefeilt hat.
Um dem vorzubeugen gab es im Erdgeschoss den sogenannten Maschinensaal, eine Ansammlung allerlei altertuemlicher Geraetschaften, mit denen Teile fuer den Eisenbahnbau hergestellt worden. Erinnern kann ich mich noch an Halteboecke fuer die Ratschen der Gewichtsspannvorrichtungen von Fahrleitungsmasten: Gewichtsspannvorrichtung DR
Keine Ahnung ob die von uns produzierten jemals tatsaechlich eingebaut worden sind.

Nach all der Zeit und als man schon gar nicht mehr glaubte, was man eigentlich fuer einen Beruf ergreifen wollte, ging es dann tatsaechlich nach Bw Leipzig Hbf Sued Schuppen 3. In Schuppen 3 fand die Instandhaltung der Diesellokomotiven statt. Ich hatte mich naemlich in einem Diesellok-Bw beworben. Okay, Diesel-Lok war jetzt nicht soo modern, aber immerhin moderner als Dampflok. Dampfloks konnte ich mal so gar nichts abgewinnen. Zum Glueck kamen die nur ganz selten und fuer besondere Aufgaben zum Einsatz. E-Lok waere natuerlich besser gewesen, aber die waren in Bw Leipzig West stationiert. Das Hantieren mit Strom war auch gefaehrlicher und man brauchte sicher mehr Erfahrung beim Umgang mit der E-Lok. Das hat man sich auch zur Ausbildung neuer Lokomotivfuehrer gedacht und die Triebfahrzeugbaureihe 106 (DR) zur Ausbildungslok gemacht. Eigentlich war es eine Rangierlok, aber was das wieder war, sollte ich erst viel spaeter lernen.
Wir waren vielleicht 6 oder 8 Lehrlinge und hatten unser festes Gleis im Lokschuppen 3. Jeden Tag wurde eine andere Lok vom Typ 106 auf dieses Gleis gestellt und wie beim Formel-1-Boxenstop schwaermte die Mechanikercrew bestehend aus uns Lehrlingen und einem richtigen Schlosser um das Fahrzeug, um es zu bepuscheln. Die Aufgaben wurden jeden Morgen um 8 Uhr verteilt. Herzstueck war natuerlich der 12KVD18/21 mit 650 PS. Auf jeder Seite hatte der Motor 6 Zylinder, deren Deckel immer entfernt wurden, um an die Ventile darunter zu kommen. Davor musste man allerdings die Einspritzleitung abbauen und bei der Gelegenheit die zwei Einspritzpumpen aboelen. Spaetestens nach dieser Arbeit sah man aus wie ein Schwein. Der Antrieb funktionierte bei der Lok ja noch mit Spurstangen. So mussten auch immer die Lager an den Achsen kontrolliert werden und ob die Oelnadeln schoen frei waren und ob genug Oel drin war. Das Stroemungsgetriebe war zwar wartungsfrei, aber der Oelstand musste auch kontrolliert werden. Wenn der Motor wieder zusammengebaut war, musste auch wieder Oel rein. Ich glaube, ich habe noch nie mit soviel Oel gearbeitet wie an dieser Lok. Mit Missbilligung denke ich zurueck, wenn ich heute mal 1 Liter Oel fuer 20 Euro an der Tankstelle fuers Auto kaufen muss.

Der naechste Schritt der Ausbildung war die Lokfahrschule Weissenfels. Dort wurde richtiger Betrieb gemacht, im wahrsten Sinne des Wortes. Institution und Lehrkraefte waren beruehmt und beruechtigt. Und doch hatte man keine Ahnung, was man dort erwartet. Die Technik der Lok kannten wir ja schon ein bischen. In Weissenfels lernten wir Fahrdienstvorschriften, Signalbuch und SBV kennen - die meisten Passagen auswendig und wortwoertlich. Wir wussten zwar nicht, was es bedeutet, aber zu jeder Frage gab es bei der Eisenbahn eine vordefinierte Antwort. Es wurde nichts dem Zufall ueberlassen und es gab auch kein "vielleicht...".

Bahnhöfe sind Bahnanlagen mit mindestens einer Weiche, wo Züge beginnen, enden, kreuzen, überholen oder mit Gleiswechsel (Spitzkehre) wenden dürfen.

Ich weiss nicht mehr, wieviele Wochen der Drill ging, aber als wir wieder draussen waren, waren wir richtig heiss auf unsere 650-PS-Flitzer: Belehrungsfahrten fangen an! Bei den Belehrungsfahrten ist man einem Lehrlokfuehrer zugeteilt und kann endlich die 106 auch selber fahren! Richtig weit raus. Den Duft der weiten Welt hat man schon vorher als Beimann genossen. Normalerweise faehrt ja heute kein zweiter Mann mehr auf der Lok mit, aber damit man als Auszubildender vom Betriebsablauf und den Schichten etwas mitkriegt, faehrt man einige Wochen bei bestimmten Lokfuehrern mit, die dazu berufen sind und in den Pausen auch mal was erklaeren. Normalerweise ist ja waehrend der Fahrt dafuer keine Zeit. Wir sind immer nach Karl-Marx-Stadt gefahren mit der 118. Das war eine Reisezuglokomotive aus derselben Stadt mit 2 solchen Motoren wie bei der 106. Dazwischen war ein Dampfheisskessel gebaut, der die Zugheizung fuer die Wagen uebernehmen sollte, damit die Reisenden nicht frieren. Normalerweise sollte das Ding vollautomatisch funktionieren: Wasser rein, aufkochen, Dampf raus, warm, danke, fertig. Es gab aber auch stoerrische Exemplare, die gingen immer auf Stoerung wegen aller moeglichen Wehwehchen: zu viel Wasser, zu wenig, keine Luft, Brenner zuendet nicht ... etliche Kilometer habe ich im Motorraum der 118 verbracht, waehrend der Eilzug nach Karl-Marx-Stadt oder Cranzahl reiste.
Cranzahl ist uebrigens ein Wintersportgebiete nahe der tschechischen Grenze. Dort ist uns auch schon mal ein Zug eingefroren. Beim Wenden! Also Zug eingefahren, am Bahnsteig gebremst und angehalten, Lok ab, drumrum rangiert, an der anderen Seite Lok wieder dran, Bremsprobe, Tueren zu, Abfahrt, moep - Zug ruehrt sich keinen Meter. Die Bremskloetze waren an den Raedern festgefroren! Es dauerte eine halbe Stunde, ehe der Wagenmeister mit dem Hammer jede einzelne Bremse bearbeitete und mein Lehrlokfuehrer mit Vor- und Zurueckrangieren jeden einzelnen Wagen loseiste (daher stammt wohl auch das Wort). Auf dem Nachbargleis stand eine Dampflok und die 2 Bediener grinsten sich eins. Was fuer ein Abenteuer an diesem Tag!

 

Grinsen konnte auch unser Beimann, wenn von Karl-Marx-Stadt eine 132 eingesetzt war. Die sowjetische Grossdiesellokomotive hat nicht nur 3000 PS mit elektrischer Kraftuebertragung sondern auch elektrischer Zugheizung - kein Heizkessel, keine Stoerung, kein Motorraum waehrend der Fahrt. Und der Sound ist einfach herrlich. Leider waren wir aber mit der 118 auch im Gueterzugumlauf oft unterwegs. Den polnischen Nachtzug abends von Leipzig nach Cottbus zu bringen, war ja noch schoen. Aber die Ruecktour von Forst streckte sich und war nicht selten mit der verfolgten Morgenroete verbunden. Mit der flachen Landschaft in der Lausitz kam die 118 auch gut zurecht.
Schwieriger waren da schon Kohlezuege aus Borna, die ueber Geithain nach Engelsdorf zu bugsieren waren. Die Motoren waren ja wassergekuehlt wie beim Auto und wenn das Kuehlwasser zu heiss war, blieb der Karren ebend stehen. Eigentlich gabs fuer sowas ja Anhaengelasten im Fahrplan, aber was will man machen, wenn der Zugbilder paar Wagen mehr mit dran haengt. Da muss bloss das Wetter nicht mitspielen und schon haengt man in den Seilen und brauch eine Vorspanne. Wenn dann nur eine 110 in Geithain aus der Nachtruhe zur Verfuegung steht, verflucht man den Lokplaner, der hierfuer keine 132 eingesetzt hat, die Ludmilla zieht einfach alles weg. Dafuer vergeht beim Tanken schon mal eine halbe Stunde, ehe 6000 Liter Diesel wieder drin und all Oelkannen wieder aufgefuellt sind.

So hat man in wenigen Wochen schon allerhand erlebt, obwohl man noch gar kein richtiger Lokfuehrer war. Zeit fuer die praktische Ausbildung auf unserem Lehrfahrzeug, der BR 106. Eingeteilt war ich zum Rangieren auf dem Leipzig-Dresdner Gueterbahnhof. Das klingt total weit, war aber nur 100 Meter vom Bw entfernt und hatte seinen Namen bloss weg, weil die Rangiergruppe auf der Dresdner Seite des Leipziger Hbfs lag. Alle Gleise hatten ihre Nummern oder Namen und so waren die ersten Fahrten erstmal Streckenkunde, damit man ueberhaupt wusste, wohin man fahren sollte, wenn der Rangierer "nach 107" wollte. Tatsaechlich gab es zu jeder Rangierlok einen Rangierer. Weiterhin gab es noch einen Rangiermeister, einen Zugbilder, einen Wagenmeister und eine Aufsicht wie beim Personenbahnhof. Je nach Besetzung gab es auch mal mehrere Posten in Personalunion. Das Gleisnetz war weit verzweigt und bediente unzaehlige Anschluesse von Speditionen in Leipzig und Ladestrassen. Alle wollten etwas geliefert bekommen oder hatten Ware produziert zum Abholen. Die einzelnen Gueterwagen wurden von der Rangierlok zur passenden Ladeluke des Lagers gezergelt oder von dort ebend abgeholt. Der Rangierer koppelt die Wagen zusammen und weiter gings zum naechsten Gleis. Anweisungen an den Lokfuehrer gabs ueber Rangierfunk, wobei die Lok einen festen Rufnamen bekam genau wie der Rangierer oder auch das Stellwerk, obwohl die meisten Weichen per Hand zu bedienen waren. Wenn man alle Wagen zusammengesammelt hatte, gabs fuer diese nur ein Ziel: weg! Der Leipzig-Dresdner Gbf. war ein Kopfbahnhof, genau wie sein grosser Bruder. Das heisst, die Zugbildung war sehr einfach. Wenn allerdings ein neuer Zug in den Bahnhof reinkam, fing die eigentliche Arbeit richtig an. Normalerweise gibts zum Sortieren der Wagen eines solchen Zuges einen Ablaufberg. Die Wagen des Zuges werden ausnandergekoppelt, hinten schiebt eine Lok langsam an und dann kullern die Wagen einen kleinen Berg runter und werden dann durch geschicktes Umstellen der Weichen in verschiedene Richtungsgruppen geleitet, um dann zu neuen Zuegen verbunden zu werden. Wir hatten aber keinen Ablaufberg, es musste abgestossen werden. Beim Abstossen rammt die kleine Rangierlok mit Vollgas die Gueterwagengruppe und wenn die ein bischen Speed drauf hat, koppelt der Rangierer den letzten Wagen ab und gibt das Kommando zum Anhalten. Die Wagengruppe mit Rangierlok haelt an und der letzte Wagen kullert alleine durch die Gegend, bis er in einer neuen Sortiergruppe oder im Ladegleis der Spedition angekommen ist. Das macht man dann so oft bis alle Wagen verteilt sind. Je nach Wetterlage, Gewicht der Ladung und Geschick des Lokfuehrers und Rangierers kann das auch mehr oder weniger Spass machen. Es wird jedenfalls zu einer stundenlangen Beschaeftigung und der Lerneffekt war zumindest fuer mich enorm.
Teilweise neidisch, aber doch eher geringschaetzend wertete ich die Rangierloks vom Hauptbahnhof, die ganze Reisezuege druckluftgebremst durch die Gegend schoben, waehrend wir vom Gueterbahnof auch mal einen 1000 t Zug nur mit der Lokbremse zum Halten bringen mussten.
Sehr fad auch das Leben der Waschlok, die die Reisezuege durch die Waschanlage ziehen musste - stundenlanges Zockeln in halber Schrittgeschwindigkeit, damit die Buersten schoen gleichmaessig die Wagen sauber machen konnten. Meist 12-14 Stueck zusammengehangen, damit sich die Fahrt auch lohnt. Lokpflege war aber auch bei uns vom Gueterbahnof angesagt. Gearbeitet wurde im 4-Brigade-Plan 24x7 und so hatte jede Brigade eine Seite der Planlok zu putzen. Genutzt wurden dazu meist die langen Wochenenden: 12 Stunden Schichten Tag oder Nacht, jeweils von 6 bis 6. An Bord war Putzwolle, Putzmilch und ein Eimer mit Wasser. Einen Eimer mit Wasser konnte man immer gebrauchen: Zum Haendewaschen, zum Getraenkekuehlen, obwohl ... dafuer gabs ja die Kuehlboxen, ein etwa koffergrosses Teil, welches zu jeder Lok gehoerte und in denen man seine Bemmen und Getraenke kuehlen konnte. Etwas Luxus musste schon sein.
Meine Abschlusspruefung meisterte ich mit Bravour. Trotz Stoerung. Unsere Planlok kam frisch aus der Wartung und beim Hochziehen einer Wagengruppe aus einer Ladestrasse platzte die Aussenschale der Kuehlwasserpumpe bei der Probefahrt. Der Fahrmeister konnte so gleich Havarie und Abschleppen pruefen und ward's schlussendlich auch zufrieden.

Die Bw-Leitung versuchte die ausgelernten Lehrlinge in feste Planstellen einzuteilen. Sehr zum Verdruss der alteingesessenen Kollegen. Feste Planstellen war sowas wie ein Fuenfer im Lotto, denn wer in einem festen Dienstplan war, konnte sein Leben im Dienstplan planen und konnte so zum Beispiel sagen, ob er Weihnachten arbeiten muss oder zu Hause bleibt. Ausserdem hat er in derselben Rangierbrigade natuerlich auch immer mit denselben Leuten zu tun. Es ist auch immer derselbe Lokleiter da im 4-Brigade-Plan. Es spielt sich sowas ein wie Routine, was man den neuen jungen Kollegen natuerlich angedeihen will. Oder man faehrt "wilde" als Rollierer. Da wird man hier mal eingesetzt als Urlaubsvertretung oder dort, weil einer krank geworden war. Oder es gibt eine Sonderleistung zu fahren. Sonderleistungen gibt es sehr viele. Zum Beispiel Bauzug. Es wurde ja doch abunzu mal was am Streckennetz gebaut und dazu wird eine Rangierlok angefordert, die dann Schotter verteilt oder Schienen ablaedt irgendwo draussen im Land. Die Tagesleistungen brachten ganz viele Stunden und waren vom Arbeitsaufwand uebersichtlich, weil die Bauarbeiter ja nicht dauernd die Lok brauchten.
Bei einer anderen Sonderleistung "Sonderrangierdienst Hbf" stand ich an einem Sonntag 2 Stunden auf 13a auf dem Stummel, weil sich weder die Ostseite noch die Westseite entscheiden konnte, welche Rangiergruppe die Sonderlok angefordert hat und man sich so alle Optionen offenhalten wollte. Erst dann stellte sich heraus, dass der Orient-Express von der Berliner Gruppe nach Gleis 14 zu rangieren sei, wo er dann mit Dampf bespannt nach Dresden fahren sollte. Im Zug wuselten schon unzaehlige Bedienstete rum, die sich tausendmal entschuldigten, weil des nachts ein Wagen eingefroren war und dieser jetzt ans Ende des Zuges rangiert werden muss und das ja ganz viele bedauerliche Umstaende fuer die Herren macht. Damit war wohl ich und mein mir zugeteilter Rangier gemeint. Dabei war es ja nicht die Welle, sachte den Wagen auszusetzen und den Zug neu zusammenzubauen. Dennoch waren wir eingeladen im Speisewagen Platz zu nehmen zu einem kleinen Fruehstueck, ehe es mit dem Zug zur Bereitstellung in die Halle ging. Es gab ein aeusserst knuspriges wohlschmeckendes Wurst/Kaese/Ei-Broetli und einen Kaffee, der seinesgleichen bis heute sucht und vielleicht gerade mal bei Sarah Wiener am Hamburger Bahnhof in Berlin zu finden ist. Frisch gestaerkt schoben wir dann gegen 9 Uhr morgens den Orient-Express in den Leipziger Hauptbahnhof, einmal quer durch das Vorfeld bis nach Gleis 14. Wahrscheinlich bin ich auf unzaehligen Fotos drauf, weil die Bahnsteigseite auch die Rangierseite war, aber leider hatte ich selbst keinen Fotoapparat dabei, um diesen ehrwuerdigen Moment festzuhalten und das Smartphone war noch nicht erfunden. Deswegen hier nur ein Werbefilm vom Zug:

 

Die schoene Zeit endete bald durch den Aufruf der Sozialistischen Hilfe. Bei dem Projekt ging es drum, anderen Abteilungen bei der Bahn zu helfen, die jetzt nicht gerade privilegiert war, staendig neue Arbeitskraefte zu erhalten. Ich hatte ja den Ablaufberg in Engelsdorf schon mal erwaehnt. Diese Institution sollte ich fuer ein Jahr bald genauer kennenlernen - als Hemmschuhleger! Normalerweise gibt es hydraulische Gleisbremsen, die die Wagen, abgekoppelt vom Ablaufberg in ihrer Fahrt abbremsen sollen. Die gab es in Engelsdorf auch: genau 2 Stueck nebennander gleich hinter dem Berg. In den Richtungsgleisen hiessen die Gleisbremsen Horst, Frank oder Klaus. Sie standen da mit Wattejacke und langem Sperrhaken. Lange Zettel mit Hyroglyphen in der Hand, auf denen Wagenanzahl, Sorte und Gleis benannt waren und warteten bis der Gueterwagen auf den ausgelegten Hemmschuh auflief, abgebremst wurde, ein Stueck zurueckrollte, den Hemmschuh schnell runterzogen und mit der Handbremse den Wagen sanft in der Wagengruppe zum Stehen brachten. Das etwa mit 30 Wagen und 5 Zuegen als 600 Mal pro Schicht. Den Einberufungsbefehl zum Grundwehrdienst hielt ich wenige Monate spaeter wie zum Triumph in der Hand.

Meine Rueckkehr 1988 war erstmal ein Bruch mit bisher allem Erlebten. Die Armeezeit hatte doch ihre Spuren hinterlassen. Das passte auch ganz gut zu den Plaenen meines Arbeitgebers, mal etwas voellig Neues zu machen. Das Bw hatte 3 E-Lok-Plaene im Umlauf, geerbt teilweise aus der Streckenelektrifizierung Leipzig-Cottbus, was so etwas wie die Haus- und Hofstrecke frueher war. Die S-Bahn Leipzig-Wurzen zaehlte noch zu den Leistungen und Kohlezuege Regis-Breitingen/Magdeburg-Buckau. Letzteres war so bischen das Bermuda-Dreieck der Deutschen Reichsbahn: Staendig verschwand der Zug! Oder die Lok! Oder das Personal. Eigentlich habe ich auch bloss Streckenkenntnis in die eine Richtung, denn die Rueckleistung haben wir aus Zeitgruenden nie gefahren. Planmaessig war Abfahrt in Regis 15:34 Uhr oder 16:11 Uhr - je nachdem, wieviel Vorlauf der Angstzug brauchte. Der Angstzug war der Schnellzug Hof/West-(Berlin), der auf dem Territorium der DDR auf keinen Fall zum Halten kommen durfte. Deswegen hiess er Angstzug. Die Lokfuehrer solcher Zuege kannten nur gruene Signale und um das zu gewaehrleisten, wurde teilweise schon Stunden vorher die Strecke freigeraeumt. Wenn es gut ging, hat man uns in Regis schon mal weggelassen mit unserer 250er und 2000t Kohle hintendran. Meist war es die 250 211, unsere Planlok, in Leipzig-West uebernommen, Lz nach Regis, den Zug bespannt, Bremsprobe, Abfahrt und schon zerrte dieses im wahrsten Sinne des Wortes voller Energie steckende Monstrum auf 6 Achsen scheinbar muehelos Kohlewagen an Kohlewagen auf die Strecke. Weit kamen wir aber nicht. In Gaschwitz ging es meist schon wieder auf den Rand zwecks Ueberholung des Angstzuges. Dabei waren wir ein Ferngueterzug mit einer Hoechstgeschwindigkeit von 80 km/h. Die meisten Gueterzuege fuhren naemlich bloss 60. Wenn der Fahrdienstleiter Mut zum Risiko hatte, liess er uns in Gaschwitz durchfahren, aber dann hiess es aber auch "Ballett, bitte", denn allzuviele Moeglichkeiten zum Ausweichen kamen dann nicht mehr. Stoetteritz hatte noch paar Gleise, aber das war Containerbahnhof. In Schoenefeld staute sich alles, was in Engelsdorf ueber den Ablaufberg geschoben werden wollte. In Wahren hatte man eigentlich auch nichts verloren. Wenn es in Wahren auf den Rand ging, wollten die Hallenser den Zug auch in den naechsten 6 Stunden nicht haben. Uhrzeitmaessig landet man hier so gegen 18/19 Uhr. Da gehoert man eigentlich schon nach Halle. Planmaessig sollte die Fahrt durch Halle-Gueterbahnhof gehen. Aber dort gibt es sehr, sehr, sehr viele Gleise, wo man versauern kann. Der treueste Begleiter auf solchen Reisen ist das Kursbuch, was jetzt nicht bloss Informationen enthaelt der Sorte "Wie kommen ich wo hin?", sondern was viel wichtiger ist: "Wie komme ich hier wieder weg?". Ein 5er im Lotto ist zum Beispiel Richtungsanzeiger P hinter Dieskau fuer "Halle-Personenbahnhof". Aus unerfindlichen Gruenden und in unendlicher Grosszuegigkeit laesst man unsere 250er mit der Kohle durch den Personenbahnhof rauschen. Meist ist es ein zu uebergebender Vorsichts-Befehl oder eine Fahrplanaenderung, die persoenlich von der Aufsicht ueberreicht wird. In dem Gleisgewusel des Gueterbahnhofs moechte man sowas nicht machen wollen. Statt in 4 Stunden ist man ploetzlich in 4 Minuten durch Halle und naehert sich auf dramatische Weise seinem Ziel. Aber bis dahin kommen natuerlich noch ein paar Abstellgleise auf der Strecke: Weißandt-Gölzau, Arensdorf. Koethen. In Schoenebeck kann man seine geographischen Parameter wieder mit dem Chronometer adjustieren. Lohnt sich die Weiterfahrt hinsichtlich der bereits geleisteten Dienstschicht und der noch zu erwartenden Rueckreise? Es ist ein steter Kampf gegen die Uhr, den Dispatchern und den Fahrdienstleitern. Einerseits moechte man die Kohle gerne in Magdeburg haben, andererseits gibt es noch tausend andere Belange und da ist ein Angstzug nur eine davon. Es ist wie ein Triumph wenn man dann tatsaechlich wie ein Wesen vom anderen Stern die Einfahrgruppe Magdeburg-Buckau erreicht, die Lok abhaengen kann, um dann sofort den Zug der Gegenrichtung zu bespannen. Tausend bunte Sachen fuer den Ablaufberg in Leipzig-Engelsdorf. Waehrend die 250er brav die Bremsleitungen vollpumpt, vergnuegt sich das Personal in der Kantine bei einer Bockwurst mit Kartoffelsalat. Wenn es zeitlich gut ist, ist es noch vor Mitternacht und man startet noch selbst die Rueckreise mit dem Fahrschalter in der Hand. Oder man hat sich fuer die Gastfahrt entschieden. Dann wird die Lok abgeruestet und man sucht zu Fuss den Weg nach Magdeburg-Hbf, wo ein Schnellzug 2 Uhr irgendwas nach Leipzig fahren soll. Der waere dann gegen 4 Uhr in Leipzig, die erste Strassenbahn nach Sued und man waere nach "nur" 14 Stunden wieder zu Hause - allerdings ohne Zug und ohne Lok. Die muss dann einer holen, indem er wieder Fahrgast nach Magdeburg faehrt. Oder einheimisches Personal bringt die Leistung wenigstens bis Wahren. Das Abenteuer Rueckfahrt kann mit aehnlichem zeitlichen Horizont enden. Wenn man in Magdeburg erstmal weggekommen ist und auch den Weg durch Halle geschafft hat, stehen die Chancen nicht schlecht, den Sonnenaufgang auf dem dritten Gleis vor Leipzig-Wahren auf dem Weg des Gueterrings nach Engelsdorf zu erleben. Der Gueterring ist vielleicht die wichtigste Eisenbahnstrecke in Leipzig, die zum damaligen Zeitpunkt ausschliesslich von Gueterzuegen (daher der Name) und Transitzuegen befahren wird (also auch den Angstzuegen). Bekanntlicherweise ist Leipzig Kopfbahnhof und so muss alles drumrum fahren, was kein Endziel Leipzig hat und Leute befoerdern soll. Um mit unserer Magdeburger Leistung bis zu Ende zu kommen (Lokrueckgabe ist glaube ich 02:11 Uhr), brauchen wir ein freies Plaetzchen fuer die Lok im Bw Engelsdorf, ein freies Gleis auf dem Ablaufberg fuer unseren Zug, und freie Fahrt auf dem Gueterring und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann man sagen: Sowas gibt es nie! Deswegen war es fuer den Kollegen der Fruechschicht immer spannend: Wo ist meine Lok? Wo ist mein Zug? Was mache ich heute?
Um sowas zu erleben, schickte man mich auf den Mammutlehrgang BR 211/242, 243, 250. Normalerweise wird ja immer nur eine Triebfahrzeugbaureihe pro Lehrgang behandelt. Da es aber schon sehr viele Aehnlichkeiten gab, machte so ein Mammutlehrgang durchaus Sinn. Die 211/242 war vom Loktyp schon recht alt. Okay okay, die 254 war alt! Demnach war die 211/242 jetzt nicht so alt, verspruehten aber den Charme der 70er Jahre in ihrem Motorraum. Die 2 Baureihen hatten nur unterschiedliche Getriebeuebersetzungen und waren ansonsten gleich. Die 211 war eine Schnellzuglog und die 242 fuer die Personen- oder Gueterzuege. Zur Steuerung hatten sie eine mechanische Kettenschaltung, die die Leistung der 4 Fahrmotoren regelten. Ein ganz anderes Kaliber war die BR 250. "Container-Lok" wurde sie genannt. Ueber 7000 PS steckten in ihr drin und obwohl sie tatsaechlich in den 70ern entwickelt und gebaut wurde, hatte sie etwas Modernes an sich. Im Personenverkehr konnte man Leute damit erschrecken. Manchmal musste die Lok nach einer Gueterzugleistung von A nach B wieder zurueck nach A und als moegliche Rueckleistung gab es nur einen Personenzug. 3 bis 4 Hutschachteln waren fuer die 250er ja nun keine Herausforderung. Wenn man zur Abfahrt Fahrstufe 30 waehlt, um den Zug zu beschleunigen, drueckt es die Fahrgaeste schon mal in die Kunstledersitze - so sehr konnte die Lok beschleunigen.
Das Meisterstueck aus dem LEW Henningsdorf war allerdings die BR 243. Das war Robotron auf Raedern. Eine moderne E-Lok fuer den universellen Einsatz bei der Deutschen Reichsbahn. Praktischer konnte man sich angewandte Mikroelektronik nicht vorstellen. Tausende Schaltkreise waren verbaut in vielen einzelnen Baugruppen, die in Steckplaetzen zusammengefuegt im Elektronikschrank das geistige Herzstueck der Lok bildeten. Wer sowas baut, hatte BMSR gelernt. Betriebs-Mess-Steuerungs- und Regel-Technik. Und er hat die aufkommende Mikrorechentechnik auf die Schiene gebracht. Sowas hatte die Welt noch nicht gesehen und die Konstrukteure konnten zurecht stolz sein, als sie die "Weisse Lady" auf der Messe in Leipzig praesentiert haben. 638 Loks wurden von 1984-1990 in Henningsdorf hergestellt. Der komplette Fuhrpark der Reichsbahn wurde auf einen Schlag erneuert. Was als Jugendprojekt begann, war ploetzlich Normalitaet:

Wie man sehen kann, wurde sehr viel Wert gelegt auf Ergonomie. Alles war nicht grau in grau auf dem Fuehrerstand sondern eher gruen, braun und schwarz. Das Handrad als Bedienelement zum Anwaehlen der Fahrstufen war weg und durch den Schubkraftregler ersetzt worden. In Stufe 1 gabs die Tiptastensteuerung, mit der man auch vom Seitenfenster aus mit einem Tiptaster Fahrstufen auf- oder abwaehlen kann. Sehr praktisch bei der Anfahrt am Bahnsteig, als noch Zugbeobachtung beim Anfahren gefordert war. Ansonsten wird die Leistung per Soll-Geschwindigkeit gewaehlt: einfach einstellen, zuruecklehnen, den Rest macht die Lok automatisch. Ist der Zug zu langsam, bringt sie ihn mit mehr Leistung auf Trapp. Drehen die Raeder dabei durch, verringert sie die Leistung ein bischen. Wird der Zug zu schnell, haut sie die elektrische Bremse rein und bremst den Zug so automatisch ab. Wenn man so eine Weile vor sich hin faehrt, hoert man nur das zischende Klappern der Trennschuetze, die den Strom von den Fahrmotoren trennen, wenn keine Leistung erforderlich ist. Es sollte so energiesparend wie moeglich gefahren werden. Mit einem Leistungsregler konnte man zusaetzlich das Temperament der Lok beeinflusst werden - obwohl dieser laut Bedienanleitung immer bei 100% stehen sollte. Manchmal muss aber doch der Mensch noch eingreifen oder schnittiges Fahren war nicht notwendig, weil genug Fahrzeitreserven vorhanden waren. Sinnig auch die Funktion "Bedinger Auslauf". Wenn man diese Taste betaetigte, spurtete das Schaltwerk so schnell wie moeglich hoch, bis die angewaehlte Geschwindigkeit erreicht ist, und schaltet danach ab. Sehr praktisch und wo mit der Grund, warum die 243 heute noch im S-Bahn-Betrieb zum Einsatz kommt. Mehr als einmal Beschleunigen ist bei den kurzen Haltestellenabstaenden eh nicht drin. In der Fahrplanmulde konnte La und Buchfahrplan verschwinden. Den Blick hat man noch frei auf die Instrumente. Digitale Geschwindigkeitsanzeige der PZ80 war Standard. Ich verstehe bis heute nicht, was man im 21. Jahrhundert von analogen Rundinstrumenten halten kann, auf denen bestenfalls Geschwindigkeiten erahnt als misst. Und es war Platz im Fuehrerstand. Es gab viel Stauraum fuer Buchfahrplaene, ein kleines Waschbecken, Klimaanlage, Kuehlbox fuer Getraenke. Der Maschinenraum wurde durch viel Neonlicht erleuchtet. Keine schwachen gelben Gluehlampen mehr, die viele dunkle Ecken hinterlassen haben. Stattdessen konnte man durch das helle Licht sofort sehen was los ist. Sicherungen und Schalter waren uebersichtlich angewordnet. Alles war natuerlich ausgiebig beschriftet, obwohl jeder Lokfuehrer seine persoenlichen Unterlagen zu jeder Baureihe hatte. Die 243 ist bis heute im ganzen Bundesgebiet im Einsatz und war in ihrer Entwicklung ein Meilenstein der Lokomotivtechnik im 20. Jahrhundert.

Und das Bw Leipzig Hbf-Sued? Um die Jahrtausendwende ist es ruhig geworden. Der Bahnverkehr ist nach der Wende ist sowieso zurueckgegangen. Highlights waren noch die Sonderzuege nach West-Berlin und Hof. Das Bw Sued sollte mit 160 Jahren in den Dornroeschenschlaf versinken. Statt lokbespannte Zuege kamen nur noch Triebwagen zum Einsatz. Somit war der Lokschuppen fuer die Dieselloks und Unterhaltung derselben ueberfluessig. Als Einsatzstelle fuer Personal war es viel zu weit weg vom Hauptbahnhof. Ein verherrender Brand machte dem Lokschuppen IV ein Ende.

Ein Besuch im Januar 2014 zeigen das ganze Ausmass der Zerstoerung und des Niedergangs. Die Erinnerung haengt an den Steinen. Der Abriss des Lokschuppens ist beantragt und von der Aufsichtsbehoerde freigegeben.

Es gibt nicht viele Informationen ueber Bw Leipzig Hbf Sued im Internet. Bei Wer-kenn-Wen gibt es eine Interessengruppe, jedoch ohne nennenswerte Aktivitaeten.

Die Dokumentation alter Industriedenkmaeler haben sich bestimmte Liebhaber von Fotografen als Hobby angeeignet. Zu ihren Zielen gehoert jetzt auch Bw Leipzig Hbf-Sued.

Einige Bahnseiten im Internet finde ich interessant. Auf der Erhalt solcher Seiten und deren Inhalt ist ein Stueck Kultur und bewahrt uns von Verlust von Erinnerungen und Informationen:

Nein, ich kann nichts fuer den Niedergang des Bw Leipzig Sued. Es war eher der Fall eines weiteren Dominosteinchens. Nach der Wende begann man zuegig die DDR-Schwerindustrie aus dem Verkehr zu ziehen. In Espenhain wurde keine Kohle mehr gefoerdert. Auch andere Kraftwerke machten dicht. Dadurch gabs keine Kohlezuege mehr zu fahren und keine Kesselwagen aus dem VEB Otto Grotewohl Boehlen. Da nichts mehr produziert wurde, musste auch niemand mehr auf Arbeit fahren.
Fuer die Deutsche Reichsbahn war das gleich doppelt schlecht: Dramatischer Rueckgang von Fahrleistungen im Gueter- und Personenverkehr. Das dritte Standbein "Post" wendete sich auch von der Schiene ab und verlagerte seine gesamete Logistik auf die Strasse. Fuer die Lokfuehrer blieben endlose Bereitschaftsschichten oder Hofkehren und andere berufsuntypische Taetigkeiten. Ich weiss nicht mehr genau wie es zustande kam. Ich hatte nur einen Bericht in der GDL-Zeitschrift "Voraus" gelesen, dass Lokfuehrer der Deutschen Reichsbahn aushilfsweise ihren Dienst bei der Schweizer Eisenbahn versehen. Der Bericht war sehr positiv und brachte so einen Flair von Abenteuer und etwas Neuem mit. So aehnlich muss wohl auch eine Anzeige vom Bw Muenchen 6 verfasst sein, die auf zeitlich begrenzter Basis dringend Lokfuehrer suchten. Die zeitliche Begrenzung von 2 Jahren passte ganz gut zum Generalplan "Aufbau Ost", wonach in 2 Jahren dort bluehende Landschaften entstehen sollten. Statt Aufschwung Ost kam also erstmal Aufbau West. Der Strassen-Atlas Deutschland Ost/West wiess das Ziel im aeussersten Osten von Muenchen-Steinhausen aus. Ein moderner Backstein-Bau markierte das Dienstgebaeude, umringt von sehr vielen Gleisen mit hellem Schotter und merkwuerdigen elektrischen Triebzuegen drauf, der ET 420. Ein Triebzug bestand aus 3 Wagen, es konnten bis zu 3 Triebzuegen zusammengekuppelt werden. Das ging vollautomatisch ueber eine Mittelpufferkupplung. Jede Achse des Triebzuges war mit einem Fahrmotor angetrieben. Bei einem Langzug hatte man also 36 angetriebene Achsen und konnte den Zug mit fast 1000 A Oberstrom beschleunigen. Die Betriebserlaubnis erlangten wir schon nach sehr kurzer Zeit. Wir waren ja ausgebildete Lokfuehrer und brauchten so nur eine Einweisung in den Betrieb auf Bundesbahnstrecken, der S-Bahn-Betrieb im Besonderen und natuerlich die Fahrzeugeinweisung ET 420. Die Angestellten vom Bw Muenchen 6 waren allesamt recht freundlich zu uns. Und "uns" waren vielleicht 20 neue Kollegen aus den neuen Bundeslaendern, die von nun an Dienst auf den 8 S-Bahn-Strecken in und um Muenchen leisteten. Untergebracht waren alle im Appartement-Hotel Muenchen-Giesing - ziemlich luxurioes, andererseits war der Dienst auch angstrengend. Es gab sogenannte Doppelbauten. Bei dieser Dienstschicht musste man zweimal auf Arbeit kommen: einmal zeitig morgends von 4 bis 8 Uhr. Und dann nochmal nachmittags von 16 bis 20 Uhr. Die Zeit dazwischen verschlief man am besten im Appartement-Hotel. Es gab aber auch genug einheimische Kollegen, die jeden Tag aus Rosenheim, Augsburg oder Ingolstadt nach Muenchen zum S-Bahn-Fahren kommen mussten. Diese Leute hatten meistens ein Jahre dauerndes Versetzungsgesuch laufen, die aber erst mal einen Tauschpartner finden mussten, der von Ingolstadt nach Muenchen wechseln moechte, um seine Stelle einzunehmen. Entsprechende Anzeigen fand man immer wieder in der Gewerkschaftszeitung.
Fuer uns aus dem Osten war es eigentlich eine unbekuemmerte Zeit. Die Arbeit hat soviel Spass gemacht, dass diese 2 Videofilme dabei entstanden sind:

Die Qualitaet laesst zwar zu wuenschen uebrig, aber zu damaliger Zeit hat man uns den Film aus den Haenden gerissen. Alle die in Muenchen waren, wollten ein Stueck Erinnerung mit nach Hause nehmen. Die 2 Jahre waren tatsaechlich recht schnell rum. Ein kurzer Besuch in Leipzig zeigten keine auffaelligen Veraenderungen. Es war alles noch so, wie ich es vor 2 Jahren verlassen hatte. Noch nichts von bluehenden Landschaften zu sehen. Das Bw Muenchen 6 liess sich auf ein weiteres Jahr Entwicklungshilfe ein. Nur aus dem Appartmenthaus mussten wir ausziehen, es kostete nahezu 160.000 DM - pro Monat. Ein normales Wohnhaus in Laim wurde das neue zu Hause. Die Wohnungen waren riesig und so wohnten immer 4 Eisenbahner in einer Art WG zusammen. Dabei lernte man noch andere Betriebszweige kennen wie etwa Lokfuehrer vom Gueterzug-Bw oder dem Bw Muenchen 1. In dieser Zeit lernte ich glaube ich kochen. Bzw. wurde die Lebenserfahrung geteilt, wie man sich mit einer Buechse Linsen den ganzen Tag beschaeftigen kann. Auch andere schlichte Mahlzeiten wie Kartoffeln und Quark wurden in epischer Laenge hergestellt weil man hatte ja Zeit und beschenkte sich so selbst mit koestlichem Essen.
Auch das dritte Jahr ging schnell vorbei und das Bw Muenchen 6 wollte nun wissen woran es mit den Ossis war. Ein weiteres Jahr verlaengern ging nicht, stattdessen wollte man die zum grossen Teil jungen Lokfuehrer nun fuer immer haben. Als Anreiz wurde in Pasing ein nagelneuer Wohnkomplex fertiggestellt, in denen es ganz schnucklige Wohnungen zur Miete gab. Umzugskosten wurden glaube ich auch noch ersetzt und das Gehalt war nun mal fast doppelt so hoch wie im Osten.

Dennoch kehrte ich nach 3 Jahren von Muenchen nach Leipzig zurueck. Auch nach 3 Jahren hatte sich keine Veraenderung abgezeichnet. Keine Fahrleistungen, und eine apathische Abneigung mir gegenueber, dem Besser-Wessi. Dabei hatte 91 jeder die Chance gehabt, nach drueben zu gehen. Argumente wie Familie oder Haus zaehlten nicht, denn auch solche Kollegen hatten wir in Muenchen gehabt. In Leipzig kam man auf keinen gruenen Zweig. Das neue Angebot kam kurze Zeit spaeter aus Frankfurt am Main. Das Bw 1 suchte Lokfuehrer fuer den Reisezugdienst. Fuer immer. Diesmal sollte es also keine Zeitarbeitsvertraege geben. Dafuer sollte die Dienststelle richtigen Reisezugdienst anbieten und nicht bloss S-Bahn wie in Muenchen 6. Also gut, beworben und natuerlich genommen. Ich hatte schon DB-Fahrpraxis und natuerlich die 420-Berechtigung, die in der S-Bahn Rhein-Main zum Einsatz kam. Was folgte waren Lehrgaenge 110/140,141, 103. Die BR 103 war eindeutig das Highlight. Die Bundesbahn-Paradelok bevor der ICE Einzug hielt. Die Lok verbreitete den bunten Plastikcharme der 70er. Erschreckend teilweise was man aber auf einer 110 oder 140 erleben musste. Die Loks waren Baujahr 59 und stellten das Gros des Fuhrparks der Deutschen Bundesbahn in den 90ern. Darauf zu fahren machte nur bedingt Spass. Meist ging es die Bergstrasse runter bis Mannheim. Oder rauf bis Kassel oder Giessen. Ach Nein, halt! Von Giessen gab es morgens eine Leistung mit BR 112, also Reichsbahn 212 aus LEW Hennigsdorf. Die Leistung war schon sehr gut und erinnerte an die alten Zeiten in Leipzig, nur dass es hier ein ganz normaler Dienst war. Mit der 103 ging es meistens nachts nach Nuernberg. Die Strecke war genauso gemuetlich wie die parallel laufende Autobahn A3. De Zug ging weiter nach Oesterreich oder Italien. Die Abloesung war am Bahnsteig und fuer die Rueckfahrt holte man sich eine neue Lok aus dem Bw.
Landschaftlich hatte das Rhein/Main-Gebiet natuerlich nicht soviel zu bieten wie das Alpenvorland und Muenchen. Auch die Mentalitaet der Einwohner ist total verschieden. Die vielen Drogenjunkies und die hohe Kriminalitaetsrate entzweiten mich dann von der Bahn. Auch beschaeftigte ich mich immer mehr mit Computern. In Muenchen hatte ich mir einen AMD 486DX2 gekauft und spielte damit rum. Dann habe ich mir Visual Basic gekauft und begann damit Sachen zu programmieren. Um damit auch auf Arbeit in den zahlreichen Pausen weitermachen zu koennen, habe ich mir ein Laptop gekauft und schleppte das fortan mit zum Dienst. Bei Conrad kaufte ich mir dann ein Modem, um die Frankfurter Mailboxen nachts zu erkunden. Dann entdeckte ich AOL, die damals immer Beta-Tester suchten fuer ihren neuen Onlinedienst. Eine Rubrik hiess auch Internet und dort sollte man auch ohne AOL-Software hineingelangen koennen. Den Zugang bot germany.net, ein Onlinedienst aus Frankfurt. Der Rest der Geschichte gehoert nicht mehr zur Bundesbahn.

   
© ALLROUNDER